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Petros Markaris: Balkan Blues

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2017-01-31 2017-04-24 31.01.2017

Die Griechen und die Familie von Kommissar Charitos – einschließlich des Schwiegersohns in spe, des Arztes Fanis Ousounidis – befinden sich im Taumel der erfolgreichen Fußball-EM-Teilnahme ihrer Elf. Da taucht in dem im Bau befindlichen Olympiastadion von Athen aus einem Erdhaufen eine Leiche auf. Damit nicht genug: Zwei weitere Leichen finden sich in einem leeren Vorortzug und auf einer Bank in der Athener Fußgängerzone. Es handelt sich jeweils um Männer aus der Dritten Welt, deren rechte Hand jeweils zu einer obszönen Geste geformt wurde und deren stets nackte Körper mit Namen islamistischer Gruppierungen versehen wurden. Und weil die olympischen Spiele bevorstehen, mischt bei diesem neuen Fall des von dem griechischen Schriftsteller Petros Markaris geschaffenen Athener Kommissars Charitos das amerikanische FBI bei den Ermittlungen kräftig mit.

In Petros Markaris im Diogenes Verlag erschienen neuem Buch „Balkan Blues“ ist diese mit dem Titel „Engländer, Franzosen, Portugiesen...“ überschriebene, etwa 60 Seiten umfassende Geschichte allerdings der einzige Fall, in dem der aus den Krimis „Hellas Channel“, „Nachtfalter“ und „Live!“ dem deutschen Leser bestens bekannte Kommissar Kostas Charitos als Ermittler in Erscheinung tritt. Denn obwohl auch in den restlichen acht Geschichten des Erzählbandes jeweils meist eine Straftat, oft sogar ein Mord, passiert, sind es eigentlich keine Kriminalgeschichten. Markaris erweist sich als wahrer Meister einer facettenreichen Erzählkunst, nutzt eine Vielzahl von Stilen und schafft ein vielgestaltiges Gesellschaftspanorama, in dem Einwanderer aus Albanien, Bulgarien und Russland sich auf der Suche nach Arbeit, Geld und ein bisschen Glück – so gut es eben geht – durchs Leben in Athen schlagen.

„Ein Kindermärchen“ handelt von einem kleinen dunkelhäutigen Mädchen, das täglich morgens in einem Park ausgesetzt wird und Kontakt zu einem alten Griechen bekommt, der ebenfalls täglich von der selben Parkbank aus das Treiben um ihn herum beobachtet. Das Wort Kontakt trifft dabei den Kern nicht ganz, denn das kleine Mädchen spricht und versteht kein Griechisch, weshalb es auch nicht mit den anderen Kindern spielen kann. Auch den Alten versteht das Mädchen eigentlich nicht, „doch vielleicht war es der Klang der Stimme, der es an die Alten in seiner Heimat erinnerte“. Und weiter schreibt Markaris: „Die alten Leute sprechen überall auf der ganzen Welt im gleichen Tonfall und fuchteln auf dieselbe Art mit ihrem Spazierstock. Die übrigen Generationen sind verschieden, die Alten sind überall gleich.“ Als schließlich der Vater des Mädchens den Alten in dessen Wohnung überfällt und ermordet, kommt das Mädchen zum Kindernotdienst, wo es den Namen Marina erhält. „Nach einem Jahr war es – mit Ausnahme seiner Hautfarbe – zu einem richtigen kleinen Griechenkind geworden. Auch das ist ein Weg zur Integration“, bemerkt Markaris.

Bereits in dieser Erzählung – wie auch in den meisten anderen – zeigt sich, dass Markaris ohne Lamento und teilweise mit schwarzem Humor, düster und trotzdem heiter, das Bild einer Gesellschaft zeichnet, in der sich die Grenzen zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht verwischen. Da gibt sich in „Green Card“ ein Grieche, der den sozialen Boden unter den Füßen verloren hat, beim Betteln als bosnischer Serbe aus, weil er als Kriegsflüchtling eher mit dem Mitgefühl seiner Landsleute rechnen kann. „Tatjanas Emanzipation“ erzählt, wie sich die Tochter einer aus der Sowjetunion kommenden griechischen Familie, die in Athen ein Lokal betreibt, mit Hilfe eines Mafiosis von ihrem Vater befreit.

In „Kaffee Frappé“ wundern sich die Bewohner einer Kykladeninsel über den Selbstmord einer Schriftstellerin, deren letzte Bücher von Kritik und Publikum nicht mehr gut aufgenommen wurden: „Wer bringt sich heutzutage wegen Büchern um?“. „Suite für Violine und Flöte“ handelt von zwei ehemaligen Straßenmusikern, einem bulgarischen Geiger und einer albanischen Flötistin, die sich über Fragen der künstlerischen Kompetenz zerstreiten und schließlich behinderten Kindern Musikunterricht geben. Zu einem tödlichen Streit kommt es in der aus reinen Dialogen bestehenden Geschichte „Ohne Kulisse“.

In „Im Vorbeigehen“ erzählt Markaris von einem ausgebeuteten Arbeiter und seiner Tätigkeit auf einem Obst- und Gemüsemarkt, in dem er allein minutiös von dessen Armen, Händen und Füßen berichtet. „Weißt du, was Globalisierung heißt? Dass arme Schlucker aus allen verdammten Balkanländern zu mir kommen und für einen Bissen Brot für mich arbeiten. Und ich gebe die Arbeit demjenigen, der den kleinsten Bissen will. Das heißt Globalisierung, verstehste!?“, lässt Markaris einen Unternehmer sagen. In „Sonja und Varja“ gelingt es Kommissar Charitos dank der Mithilfe einer Prostituierten, einen Schurken festzunehmen.

Petros Markaris: Balkan Blues. Geschichten.
Aus dem Neugriechischen von Michael Prinzinger.
Diogenes Verlag Zürich. 219 Seiten.

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